Mit dem Bike durch das Land von 1001 Nacht
Nur vier Flugstunden von Zürich entfernt liegt Marokko, dieses Land, das so anders, so exotisch, so spannend und abwechslungsreich ist.
Während 11 Tagen reisten wir durch den südlichen Teil Marokkos, das flächenmässig rund 10-mal so gross ist wie die Schweiz. Es ist der westlichste der nordwest-afrikanischen Maghreb-Staaten (Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen und Mauretanien). Die Landschaft ist geprägt von der Atlantikküste im Westen, dem Atlasgebirge im Zentrum und der Wüste Sahara im Südosten. Dadurch ergibt sich eine unglaubliche Natur-Vielfalt, die wir auf dieser Reise entdecken durften.
Von kargen, schroffen Gebirgszügen mit spektakulären Felsformationen kamen wir plötzlich in fruchtbare, saftige Täler mit Wassermelonen-Feldern, Tausenden von Dattelpalmen oder prächtigen Oleander-Sträuchern. Schliesslich führte unser Weg in die Sanddünen der Sahara, wo wir das Sternenmeer beobachten konnten. Den Kontrast perfekt machte am Schluss das Eintauchen in das geschäftige Marrakesch mit seinen Händlern, Markständen und Hamams.
Mustapha – der Berber auf dem Bike
Extrem bereichert wurde unsere Bike-Kulturreise durch Marokko dank unseres lokalen Reiseleiters Mustapha, der schon sein halbes Leben auf dem Bike verbringt. Aufgewachsen ist er unter einfachsten Verhältnissen in einem kleinen Berber-Dorf im Atlasgebirge. Als Berber bezeichnet man die indigenen Bevölkerungsgruppen in den Maghreb-Staaten. Sie identifizieren sich sehr stark mit ihrer Zugehörigkeit zu diesem Volk und sind stolz auf ihre Wurzeln und ihre Kultur. Mustapha half bereits als kleiner Junge zu Hause tatkräftig mit und weiss daher haargenau, wie das Leben auf dem Land auch heute noch funktioniert. Dieses Wissen und seine Erfahrungen teilte er mit grosser Leidenschaft und Witz mit uns.
Unsere Bikeetappen führten uns meist auf Schotterwegen oder -pisten durch wenig besiedelte Landschaften. Von Zeit zu Zeit durchquerten wir ein kleines Dorf, in dem wir natürlich für Aufsehen sorgten. Die Kinder strömten aus allen Gassen heraus um uns zu begrüssen. Wir beobachteten die Frauen der Dörfer, wie sie die Kleider der ganzen Familie im kalten Fluss von Hand wuschen und anschliessend im Gebüsch und an den Bäumen zum Trocknen aufhängten.
Die Gastfreundschaft der Berber-Nomaden
Am meisten beeindruckt hat mich die Gastfreundschaft der Marokkaner. Als wir mit unseren Bikes auf einem Hochplateau in den Bergen des Hohen Atlas unterwegs waren, trafen wir auf Berber-Nomaden. Menschen also, die tagtäglich damit beschäftigt sind, genügend Futter für ihre Tiere zu haben. Dafür ziehen sie in den Bergen umher und lassen sich je nach Jahreszeit mal weiter unten im Tal oder weiter oben in den Bergen nieder. Meist halten sie Schafe und Ziegen, deren Milch, Wolle und Fleisch sie entweder selbst verwerten oder auf einem der zahlreichen Märkte verkaufen oder gegen andere Waren eintauschen. Die Berber-Nomaden leben in äusserst einfachen Behausungen oder Höhlen.
Bei unserer Begegnung mit dieser Nomaden-Familie war es selbstverständlich, dass unsere ganze Gruppe in ihre Höhle zum Tee eingeladen wurde. Da sassen wir also mit unseren top-modernen, funktionalen Bike-Kleidern neben den Nomaden, die wahrscheinlich alle Kleidungsstücke, die sie besitzen, an zwei Händen abzählen können. Trotz – oder gerade wegen – ihres einfachen Lebensstils strahlten sie Zufriedenheit aus. Genau solche Begegnungen waren es, die mir während unserer Reise einen tiefen Einblick in die marokkanische Kultur ermöglichten und mir gleichzeitig vor Augen führten, wie privilegiert wir sind.
Marokkanischer Tee
Tee hat in Marokko einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert. Damit drückt man seine Gastfreundschaft aus, schliesst Geschäfte ab oder feiert Feste. Es wäre sehr unhöflich, eine Einladung zum Tee abzulehnen. Der typisch marokkanische Tee besteht aus Grüntee und marokkanischer Minze – und ganz viel Zucker. Die Zubereitungs-Zeremonie nimmt viel Zeit in Anspruch und wird in mehreren Schritten und sehr vorsichtig vollzogen. Nachdem der Tee einige Minuten gezogen hat, wird er mehrere Male zwischen der Kanne und dem Glas in hohem Bogen hin und her gegossen. Dies dient einerseits der Aromaentfaltung und Abkühlung. Es hat aber auch einen ganz pragmatischen Hintergrund aus der Zeit der Kamelkarawanen. Durch das Hin- und Hergiessen entsteht ein Schaum, in dem Staub und Sand hängen bleibt und somit nicht mitgetrunken werden musste.
Ait Ben-Haddou und seine Kasbahs
Etwas vom schönsten in Marokko sind die Kasbahs – die Festungen – die die Berber früher zur Überwachung und zum Schutz vor Feinden errichteten. Charakteristisch ist die typische Bauweise aus Stampflehm und die verzierten Türme an den vier Ecken des Hauptgebäudes. Von aussen sehen sie oft unscheinbar aus, doch innen sind sie wahre Kunstwerke. Prunkvolle Verzierungen aus Mosaiken und Malereien bestaunten wir beispielsweise in der Kasbah von Telouet, die von aussen zu verfallen scheint. Errichtet wurde sie Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Thami El Glaoui, dem Anführer des sehr einflussreichen und wohlhabenden Berberclans der Glaoua.
Eine der berühmtesten Kasbahs ganz Marokkos ist wohl diejenige von Ait Ben-Haddou. Der gesamte alte Dorfkern (Ksar) besteht aus fünf ineinander verschachtelten Kasbahs und gehört seit 1987 zum Weltkulturerbe der UNESCO. Wir machten uns bereits frühmorgens auf den Weg durch die engen und verwinkelten Gassen zur Kasbah, die auf einem Felsen über dem Dorf thront. Von hier beobachteten wir den Sonnenaufgang und das faszinierende Farbspiel der Felsen und der Lehmmauern. Die ersten Lichtstrahlen des Tages verwandelten die karge Stadt in eine leuchtende Festung.
Kulinarik aus 1001 Nacht
Eines meiner persönlichen Highlights erlebte ich jeden Mittag. Wir erreichten meist auf unseren Bikes den Mittagsplatz, den unsere lokale Crew bereits irgendwo unter Palmen, zwischen Rosensträuchern oder in den Bergen für uns hergerichtet hatte. Ich war immer wieder aufs Neue erstaunt, welche Köstlichkeiten sie mit ihrer beschränkten Ausrüstung für uns gezauberte hatten. Die marrokanische Küche überzeugte mich mit ihrer Gewürzvielfalt und den vielen frischen, heimischen Zutaten. Am Buffet war immer für jeden Geschmack etwas dabei und täglich gab es etwas Neues, Spannendes zu probieren.
Dromedar-Reiten in der Wüste
Nachdem wir die ersten Tage unserer Reise in den Bergen des Hohen Atlas verbracht und Einblicke in das einfache Leben der Berber erhalten hatten, kamen wir der Wüste Sahara immer näher. Die Landschaft wurde flacher und nun definierten Sanddünen statt Bergspitzen den Horizont. Unser Ziel für diese Nacht war ein Zeltcamp zwischen den Dünen. Es befand sich etwas ausserhalb von Zagora. Im Stadtzentrum von Zagora erinnerte uns eine Tafel mit der Aufschirft «Tombouctou 52 jours» daran, dass Dromedar-Karawanen früher von hier zu ihrer Sahara-Durchquerung starteten. In 52 beschwerlichen Tagen legten sie die 1600km lange Strecke bis in die Oasenstadt in Mali zurück. Auf unserem kurzen, gemütlichen Dromedar-Ritt in unser Zeltcamp können wir nur erahnen, welche Strapazen diese lange Reise mit sich brachte. Wir genossen bei unserer Ankunft den obligaten Tee, während es dunkel wurde und sich über uns der Sternenhimmel auftat.
Das rote Gold einer Schweizerin
Am nächsten Morgen fuhren wir wieder zurück in Richtung Marrakesch. Unterwegs machten wir einen Stopp im «Paradis du Safran» – dessen Name nicht passender sein könnte. Die Schweizerin Christine Ferrari hat hier mit viel Leidenschaft einen Bio Kräuter- und Pflanzen-Garten aufgebaut und kultiviert Safran, der höchsten Qualitätsansprüchen genügt. Es ist beeindruckend welche Pflanzenvielfalt man hier auf kleinem Raum bestaunen kann und mit wie viel Liebe zum Detail das Anwesen gepflegt wird. Es wurde uns ein hervorragendes Mittagessen, selbstverständlich mit dem eigenen «roten Gold» – serviert und ich war fast etwas wehmütig, als wir dieses Paradies am Ende des Nachmittags verliessen.
Beeindruckendes Marrakesch
Aber schliesslich wartete zum Abschluss unserer Reise die Königsstadt Marrakesch auf uns. Wir stürzten uns in das unvergleichliche, geschäftige Treiben in dieser quirligen Stadt. Auf dem Hauptplatz – dem Djemaa el Fna – treffen sich Händler, Geschichtenerzähler, Zauberer und Schlangenbeschwörer. Hier hätte ich mich ein paar Stunden in ein Café setzen und einfach nur das pulsierende Leben beobachten können, ich bin sicher mir wäre nicht langweilig geworden.
Doch rund um den Platz befinden sich die überwältigen Souks, die ich keinesfalls verpassen wollte. In diesen Märkten findet man wirklich alles: Lederwaren, Schmuck, Teppiche, Elektronikartikel, Keramik, Glaswaren usw. Wer gerne verhandelt wird hier grossen Spass haben. Wer es lieber etwas gemütlicher mag, gönnt sich ein Wohlfühlprogramm in einem traditionellen Hamam. Das Baderitual ist ebenfalls ein fester Bestandteil der marokkanischen Kultur.
Marokko hat mich fasziniert – mit seiner Vielfalt, seiner Ursprünglichkeit, seiner atemberaubenden Natur und seinen zufriedenen und herzlichen Bewohnern. Schwer zu glauben, dass nur einen kurzen Flug entfernt eine so andere und spannende Kultur wartet. Marokko, ich komme wieder.
Reisebericht-Autorin: Reiseteilnehmerin Carole Renggli