Velotour in Vietnam2023-09-08T11:16:54+02:00
  • Veloreise Vietnam & Kambodscha

Velotour in Vietnam

Mit dem Velo in Vietnam

Auf sinnenvoller Fahrt durch Südvietnam

Vierräder, so lernen wir sehr rasch, sind auf Vietnams Strassen Busse oder Lastwagen, die Masse ist zweirädrig mobil. Im immer schon etwas weltoffeneren und reicheren Süden sind es vor allem Mopeds, im Norden und bei den Ärmeren muss das Fahrrad reichen, um voranzukommen.

Auch uns reicht das Velo für unsere Reise in Vietnam. Der Velotourist solidarisiert sich bereits durch sein Vehikel mit der weniger privilegierten Schicht des vietnamesischen Volkes. Zwar nimmt der disziplinierte europäische Verkehrsteilnehmer das lokale Prinzip des „alles fliesst“ rasch auf und auch gerne an, doch ein paar Stunden Anschauung vom sichern Bus oder Café aus, sind nicht nur ratsam, sondern auch höchst vergnüglich. Nicht zu überhören ist Verkehrsregel Nr. 1: wer eine Hupe hat, braucht sie, auch morgens um drei auf menschenleerer Strasse.
Nach wie vor Saigon…

„Saigon hat fünf Millionen Einwohner“, erklärt Hai, unser vietnamesischer Begleiter, „und eine Million Mopeds“! Er lacht sein breites und herzhaftes Lachen. Erst wenn er uns das Reiseleiterwissen mit seinem ostdeutschen Akzent aus den frühen Siebzigerjahren weitergibt, spricht er korrekt von „Ho Chi Minh Stadt“. Die offizielle Bezeichnung des sozialistischen Regimes scheint die Herzen der Einwohner auch nach 25 Jahren noch nicht erreicht zu haben.

Nach dem ersten Auftauchen aus der wirren und faszinierenden Welt der Metropole Saigon, starten wir im Mekong-Delta zu 500 Kilometer langen Velotour. Die beiden Buschauffeure Hoa und Liu, welche uns die ganze Strecke mit dem Besenwagen begleiten, erweisen sich als sehr geschickte und kundige Velomechaniker. Keine Etappe sollte fortan beginnen, ohne dass nicht jede Kette geschmiert, jede Bremse kontrolliert, das letzte Rad gerichtet und die Bidons gefüllt sind.

Bike-Mechaniker-Vietnam
Bike-Mechaniker-Vietnam

Alle Sinne sind gefordert

Es fällt schwer, sich auf die gar nicht immer hindernisfreie Strasse zu konzentrieren, zu viel gibt es zu sehen, zu hören und zu riechen – Radreisen in Asien haben es in sich. Velo fahren in Vietnam, das ist zwar die unklimatisierte Art des Reisens, dafür die sinnenvollste. Das unbeschreibliche Hellgrün der Reisfelder mit den lustigen gelben Tupfen der Sonnenhüte darin, das lachende Kindergesicht am Strassenrand, die schmalen und wackligen „Affenbrücken“ über die unzähligen Arme des Mekongs, bleiben uns auf Fotopapier erhalten. Wo man hinschaut, es ist ein Sujet. Doch Vietnam ist längst nicht nur fürs Auge. Die Vielfalt der Klänge, Geräusche, Düfte und Gerüche bereichert den Radreisenden fast noch mehr.

Vietnam-Fahrrad-Kinderlachen
Vietnam-Fahrrad-Kinderlachen

Das Velo hat die richtige Höhe

„Vietnam mit dem Bus zu bereisen, ist wie wenn man mit dem Pferd Blumen pflücken will“, erklärt Hai. Es ist augenfällig, mit dem Rad reist man auf perfekter Höhe, hat Einblick in jede Stube, sieht unter den runden Hut und kann dem freundlichen Gesicht das Lächeln zurückgeben.

Eines Tages, wir rollen im Morgenverkehr der Bezirksstadt Can Tho, gesellen sich zwei elegante Damen auf einem Moped zu uns. Deux-Pièce und Businessköfferchen verraten die gehobene Stellung. Gute zehn Kilometer lang, halbieren wir ihre Geschwindigkeit, um von uns, den exotischen Touristen, mehr über die fremde Welt zu erfahren, die sie nur vom Fernsehen kennen. Hier, und das macht jedes Reisen wertvoll, sind beide Seiten aneinander interessiert.

„Der Bustourist“, sagt Hai, „ist ein willkommener Devisenbringer, der Velotourist dagegen ist ein Freund“. Berührungsängste stellen wir jedenfalls keine fest. Im Gegenteil: in einem kleinen Bergdorf des Hochlands entdeckt ein junger Mann, der es eilig hat, meinen freien Gepäckträger. Er schwingt sich im Fahren aufs Rad und springt einen Kilometer weiter wieder ab, so kommt er noch rechtzeitig zur Hochzeit, welche eben begonnen hat!

Märkte erzählen das Leben

Die unzähligen Märkte – entweder in den Dörfern oder schwimmend auf dem Mekong – gehören zu den eindrücklichsten Informationsquellen über Land und Leute: Zeige mir was du isst, und ich weiß wie es dir geht. Niemand hungert hier, die seit 1986 reprivatisierte Landwirtschaft blüht. Und dennoch ist Vietnam eines der ärmsten Länder Asiens. Diese Tatsache wirkt sich offensichtlich nicht negativ auf die Lebensfreude aus.

An diesem Morgen fahren wir 50 Kilometer lang über schmale single trails, Wege, wo einem höchstens Zweiräder begegnen, immer hautnah dran am pulsierenden Leben des Mekong-Deltas. Die Vietnamesen leben draussen, drinnen läuft nur der Fernseher. Selbst in der dürftigsten Bretterbude drängen sich schon morgens Männer und Kinder vor dem Bildschirm. Ein eigenartiges Bild, wie Derrick in dieser Umgebung auf Vietnamesisch sagt: „Harry hol den Wagen“.
So fahren wir buchstäblich mitten durchs Leben der einheimischen, hier zentimeterknapp an der Nähmaschine vorbei, da streifen wir die Rüstarbeit fürs Mittagessen oder den Abwasch, der stets auf dem Fussboden stattfindet. Nach einem Zwischenhalt mit Tee, frischen Ananas, Mangos und einem Getreidestängel aus der Schweiz, ist auch die holprigste Schotterpiste kein Problem mehr.

Viele Strassen und Wege sind voller Löcher oder gerade im Umbau. Geschlossen sind sie deswegen natürlich nicht, sind es doch meist die einzigen Verbindungen zwischen den Dörfern. So mühen sich die Bewohner mit Karren, Lastvelos und Vehikeln aller Art mit grösster Selbstverständlichkeit und einem Lachen im Gesicht durch die Baustellen. Der Begriff „Verkehrsweg“ erhält hier eine völlig neue Bedeutung.

Leben-Alltag-Vietnam-Strasse
Leben-Alltag-Vietnam-Strasse

Tropischer Temporausch

Das Tempo in der Gruppe wird nicht vorgegeben, es ergibt sich. Meist lässt es genügend Musse zu, um die vorbeiziehende Szenerie zu geniessen. Auch wer mal absteigt, um näher zu gehen, oder um ein paar Worte zu wechseln, der findet mit einem kleinen Effort wieder den Anschluss ans Feld.

Natürlich, es gibt Ausnahmen: ausgerechnet am heissesten Tag bei 42 Grad Celsius und ausgerechnet nach dem Mittagessen gibt es kein Halten mehr: Unvermittelt bolzt die Velogruppe mit einem satten Dreissiger weg. Dranbleiben, keine Frage, wer will denn schon abfallen. Nach einer Dreiviertelstunde sind wir an der vereinbarten Wegmarke. Hochrote Köpfe, der siebente Liter des Tages rinnt aus dem Bidon, „wir sind Spinner“, stellen wir übereinstimmend fest, sicher, aber der kurze Galopp musste sein und tat gut. Hai kann nur den Kopf schütteln und lachen, als er etwas später eintrifft.

Am Pass auf dem Weg ins Hochland vor Bao Loc geraten wir in ein tropisches Gewitter. Ein unvergessliches Erlebnis: So grosse Regentropfen haben wir noch nie gesehen! In Minutenschnelle ergiessen sich Sturzbäche über die Strasse. Selbstmitleid wird im Keim erstickt, als wir die zierliche Frau überholen, welche ihr mit Bambusrohr schwer beladenes Rad den Pass hoch schiebt. Sie trägt auch kein pflegeleichtes Velodress wie wir, die klitschnassen Kleider kleben an ihrem schmächtigen Körper.

Der Krieg ist nicht vergessen

Die Narben des Vietnam-Krieges sind dennoch allgegenwärtig und nicht zu übersehen. Seien es die Napalm- und Agent-Orange-Opfer unter den Bettlern, kahle Landstriche oder schlicht unauslöschliche Erinnerungen. Hai erzählt mir auf der Fahrt durch ein kleines Dorf, das wie sein Heimatort in Zentralvietnam aussieht, von jenem Tag 1966, den er nie vergessen wird: Die US-Erdkämpfer brausten am frühen Morgen im Tiefflug übers Dorf. Der Mutter blieb gerade noch Zeit, ihre drei Söhne in den selbstgegrabenen Schutztunnel zu schubsen, da fielen bereits die Bomben. Der Tunnel wurde verschüttet, doch die Nachbarn wussten ungefähr wo er lag und gruben alle aus. Die Druckwelle hatte ihnen sogar unter Tag die Kleider vom Leib gerissen. Als sie aus dem Loch krochen, war das Dorf weg, einfach nicht mehr da, alles kahlgeschlagen.

Auf dem Velo lässt sich sinnieren, was all das, was uns seinerzeit Leon Huber und Paul Spahn in der Tagesschau erzählt haben, für einen Sinn gehabt hat. Fünf Millionen Todesopfer forderte der Krieg in Vietnam. Sieger hat es keine gegeben.

Warten bis der Dollar kommt

Noch fasziniert Vietnam. Die „Dollarisierung“ hat noch nicht allzu grossen Schaden angerichtet. Zwar gehören westlicher Pop, Plattenschuhe und klobige Jeans zu den aktuellen Statussymbolen der städtischen Jugend. Noch scheint die vietnamesische Kultur nicht global eingeebnet zu sein. Doch wenn sich die Wirtschaft weiter so gut entwickelt, und sich der Reisbauer den westlichen Luxus leisten kann, den ihm die Satellitenschüssel in der Bretterhütte beliebt macht, dann wird sich vieles verändern. Ob er dadurch glücklicher sein wird, muss man leider bezweifeln.

Reisebericht-Autor: Reiseteilnehmer Peter Marthaler

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Geschrieben von: Peter Marthaler

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Bildbeschreibung

Vietnam & Kambodscha – Veloreise von Saigon nach Angkor Wat

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