Mauritius, die Inselschönheit
Der Journalist Günter Kast führt uns mit dem E-Bike über die Trauminsel Mauritius. «Ein Flitterwochenparadies kommt unter die Räder» wie er so schön sagt. Mauritius lässt sich hervorragend mit dem E-MTB entdecken. Im Vorbeiradeln lernt man, dass der Inselstaat im Indischen Ozean weit mehr als nur tropische Strände zu bieten hat.

Links Verkehr auch für E-Biker
„LINKS-Verkehr!“, ruft mir mein Guide Warren zu und verdreht die Augen, als ich mal wieder auf der falschen Strassenseite aufs Rad steigen will. Tschuldigung, meine Lernkurve könnte steiler sein, ich weiss. Aber es gibt hier eben so viel zu gucken und zu bestaunen. Jetzt gerade sind es die vielen Einheimischen, die sich zum Sonntags-Picknick am Strand von Riambel im Süden der Inselrepublik versammeln. Da werden Schwimmflügel aufgeblasen und Fischfilets auf den Grill gehauen. Es riecht verführerisch nach Currys, in grossen Kühlboxen wartet Phoenix-Bier auf seinen Einsatz. „Auf unser lokales Bier ist jede und jeder stolz“, erklärt Warren. „Alle lieben und trinken es, egal ob Jung oder Alt, Arm oder Reich.“ Ich staune indes über einen anderen Kontrast: Hier das pralle Leben der Insulaner, dort die manchmal etwas sterile Atmosphäre der Hotels und Ressorts, die viele Urlauber nie verlassen und wo sich die dienstbaren Geister entsprechend wundern, wenn man am Nachmittag verschwitzt und mit Schlammspritzern an den Beinen einläuft, respektive: einfährt.
Trauminsel- ein Frevel, nicht aufs Rad zu steigen- entlang „Flitterwochenstrände“
Berühmt wurde das Eiland im Indischen Ozean 1847 durch seine erste Briefmarke. Die Blaue Mauritius ist heute eine der begehrtesten und wertvollsten Marken der Welt. Bekannt und beliebt ist Moris, wie das Eiland auf Kreolisch, dem lokalen Idiom, liebevoll genannt wird, heute jedoch vor allem für das von einem Riff gesäumte türkisblaue Meer und die schneeweissen Sandstrände. Insbesondere für Flitterwöchner ist Mauritius ein Traumziel. Und dass die ihre Wohlfühloasen und Liebesnester nicht allzu oft verlassen möchten, kann man verstehen. Für alle anderen wäre es jedoch ein Frevel, nicht aufs Rad zu steigen, zumal es inzwischen Agenturen gibt, die E-MTBs verleihen. Die Stromer erleichtern das Kurbeln in der mitunter feuchtheissen Tropenluft ungemein. Und die breiten Reifen sorgen für ordentlich Traktion auf groben Pisten oder auf Sand, wenn es mal am Strand entlanggeht, so wie jetzt gerade.

Mittagessen bei Einheimischen: auch E-Bike-Fahren macht hungrig

Promis, Fussballfans und Radfahrer
Natürlich gibt es auch im Süden Tourismus. Er kommt nur etwas diskreter daher. Als uns ein kurzer Platzregen zu einer Pause zwingt, suchen wir Schutz unter dem Dach einer ehemaligen Kolonialvilla, die heute für Hochzeitsfeiern gemietet werden kann. Von dem herrlichen englischen Garten überblickt man den dazugehörigen Golf-Parcours. Warren deutet mit dem Finger auf die Hügel hinter dem 18-Loch-Platz: „Dort haben viele Promis ihren Feriensitz, von Kylie Minogue bis Gwyneth Paltrow.“ Als bekennender Fussballfan will er auch Michael Ballack hier schon gesehen haben.
Wir kurbeln zum südlichsten Punkt und lassen uns die Gischt ins Gesicht sprühen
Vorbei an jungen Insulanern, die uns mit winkenden Händen ein freundliches „Bonjour“ zurufen – Französisch ist immer noch einen Tick verbreiteter als Englisch – kurbeln wir zum südlichsten Punkt der Insel. Die steil ins Meer abbrechenden Klippen von Gris-Gris erinnern eher an Schottland als an ein Tropenparadies. Und der „La Roche Qui Pleure“ – nomen est omen – weint sogar und erzeugt Tränen aus Meerwasser. Wie das geht? Weil es hier keine Korallenriffe gibt, donnern die Wellen mit voller Wucht gegen den Felsvorsprung aus Basaltgestein. Eventuell muss man ein wenig warten, bis man das Spektakel zu sehen bekommt, denn es tritt nur bei Flut auf. Aber dann kann man sich die Gischt ins Gesicht sprühen lassen „und alle sind Sorgen vergessen“, wie Warren mit einem Augenzwinkern erklärt. Tatsächlich habe ich gerade gar keine Sorgen. Ich schaue einem Jungen zu, der einen Oktopus gefangen hat und ihn verkaufsfertig macht. Er freut sich diebisch, denn der Tintenfisch wird ihm gutes Geld einbringen, wenn er ihn an ein Restaurant verkauft.

Piraten Geschichten
Allmählich wird es Zeit, nach Bel Ombre zurückzufahren, wo wir unsere Tour begonnen hatten. In der Baie du Jacotet unterhält mich Warren mit Piraten-Geschichten, von denen man nicht so genau weiss, welche wahr und welche erfunden sind. Fakt ist jedoch, dass man in dieser Gegend die einzigen Kieselstrände der Insel findet, während sonst weisser Korallensand vorherrscht. Die Steine stammen aus dem Hochland und wurden bei Starkregen ins Meer gespült. Fakt ist auch, dass hier früher eine Eisenbahn fuhr, die Trasse ist noch zu erkennen. Sie transportierte nicht etwa Menschen, sondern Zuckerrohr aus den Plantagen zu den Fabriken. Doch dazu möchte Warren gar nicht so viel erzählen, denn das Zentrum der Zuckerindustrie befindet sich weiter im Norden.
Wir cruisen zu den Zuckerrohr Plantagen
Anderntags cruisen wir durch genau jene ausgedehnten Plantagen in der Gegend von Pamplemousses. Auf einem Hügel hält Warren an und dreht sich einmal im Kreis: „Wohin Du auch blickst“, sagt er, „die Felder gehören alle einer einzigen Familie“. Es gebe noch drei weitere Grossgrundbesitzer. Und diese Familien seien es auch, die die Politik der Inselrepublik bestimmten. Früher sei die Monokultur noch ausgeprägter gewesen. Sie ist dafür verantwortlich, dass auf Mauritius gerade einmal ein einziges Prozent Fläche an ursprünglicher Natur erhalten blieb. Halbwegs unberührte Ecken finden sich vor allem dort, wo Zuckerrohranbau zu mühsam wäre, nämlich an den steilen Berghängen vulkanischen Ursprungs, wo wilde Schluchten und Wasserfälle in üppiger Vegetation auf Entdecker warten.
Nach der Verkostung des Zuckerrohrschnaps ist man froh um den Turbo beim E-Bike
Zwar mussten aufgrund sinkender Weltmarktpreise einige Fabriken dichtmachen. Aber für die Grossen der Branche scheint das Geschäft mit dem Zucker auch heute noch einträglich zu sein, weil das weisse Gold auf Mauritius von besonderer Qualität ist und sich deshalb teurer verkaufen lässt. Bei einem Stopp im Zuckermuseum „L’Aventure du Sucre“ erfahre ich mehr über die neben dem Tourismus wichtigste Branche der Insel. Zucker ist gleich Zucker? Von wegen! Eine Probe beweist es. Das verrufene Produkt, der Dickmacher, hat erstaunlich viele Geschmacksnuancen und kann ganz unterschiedlich in der Küche eingesetzt werden. Und das Beste: Er lässt sich zu Rum verarbeiten. Auch der will natürlich verkostet sein. Und so bin ich doch ziemlich froh darum, dass ich für die weitere Erkundung der Insel auf den Turbo-Knopf drücken kann.

Heritage Trail
Wir fliegen vorbei an farbenfrohen Strassenmärkten und Obstverkäufern, atmen den süssen Duft von Blumen und Gewürzen ein, staunen über die liebevoll geschmückten Tempel, die fast jedes Wohnhaus zieren, in dem indisch-stämmige Hindus leben. Mauritius präsentiert sich als eine tolerante Multikulti-Nation. Auch Warren ist ein typischer Vertreter mit halb indischen, halb afrikanischen Wurzeln. Schwarzafrikaner wurden jahrhundertelang auf die Insel verschleppt, um sie auf den Plantagen als Sklaven schuften zu lassen. Bereits am Vortag hatte mir Warren im Süden den Ort gezeigt, an dem der erste Sklavenmarkt abgehalten wurde. Hier im Zentrum gibt es einen „Heritage Trail“, der an die dunklen Zeiten erinnert.
Wir biken zum Botanischen Garten
Ausschliesslich positive Assoziationen weckt der Botanische Garten nahe Pamplemousses. Er erstreckt sich auf 37 Hektar und wurde bereits 1770 angelegt, was ihn zum ältesten der südlichen Hemisphäre macht. Vor allem aber zählt er zu den schönsten weltweit. Wir lassen die Räder am Eingang stehen und schauen uns das Meer aus Pflanzen und die hübsch angelegten Teiche mit den Seerosen in Ruhe an. Als wir wieder im Sattel sitzen, merken wir, dass die Stunden wie im Flug vergangen sind. Es wird Zeit für eine Mittagspause, denn auch im Paradies muss man essen. Palmenherzsalat und Marlin-Carpaccio warten bereits auf uns. Wir müssen nur noch entscheiden, ob wir dazu einen frischen Weisswein aus Südafrika bestellen – oder doch lieber ein Phoenix-Bier.
Reisebericht-Autor: Journalist Günter Kast